Nicht Bittsteller, sondern Kunde

„Anderer Marktstand“ gestartet, bei dem Menschen mit wenig Geld einkaufen können

Seit Langem ist ein Tafelladen-Projekt – ursprünglich unter dem Stichwort Sozialkaufhaus – in Murrhardt im Gespräch, bisher scheiterte es jedoch an den passenden Räumen. Nun haben Birgit Wolf und Heidi Grau von der Koordinationsstelle Bürgerschaftliches Engagement und einem Helferteam den Anfang gemacht: Mit dem „Anderen Marktstand“, bei dem Menschen mit wenig Geld immer montags verbilligte Lebensmittel im Grabenschulhaus einkaufen können.

 

Der Anfang ist gemacht: Das Helferteam kurz bevor sich die Ladentüren öffnen. Gemeinsam mit (von links) Heidi Grau und Birgit Wolf haben sie alles für den ersten Verkauf beim „Anderen Marktstand“ hergerichtet. Bürgermeister Mößner (Vierter von links) schaute bei der Eröffnung auch vorbei. Foto: J. Fiedler

Von Christine Schick

 

MURRHARDT. Warum nicht einfach klein anfangen, hat sich Birgit Wolf irgendwann gefragt. Nachdem das Projekt Sozialkaufhaus vor einigen Jahren am geeigneten Standort scheiterte, der Klosterhof mangels Förderung für eine Gebäudesanierung nicht mehr infrage kam (wir berichteten), lag das Vorhaben längere Zeit auf Eis. Da Birgit Wolf aber nicht nur Leiterin der Koordinationsstelle für Bürgerschaftliches Engagement, sondern auch Leiterin der Volkshochschule (VHS) ist, kam ihr im Winter eine – im wahrsten Sinne des Wortes – naheliegende Idee: Weshalb nicht das Grabenschulhaus, zu einer Zeit nutzen, in der wenig los ist? Ein paar Tische zusammenstellen und verbilligte Lebensmittel an Bedürftige mit einem kleinen Team verkaufen? So entstand das Projekt „Anderer Marktstand“, das am Montagnachmittag Premiere feierte. Nachdem Vorstand der VHS, Stadtverwaltung, und Gemeinderat von der Idee ebenso angetan waren und es von der Bürgerstiftung 400 Euro Startkapital gab, machten sich Birgit Wolf und Heidi Grau an die Arbeit. Was das Projekt und Helferteam anbelangt, konnten sie auf die Vorarbeit von Ingrid Lüdecke zurückgreifen, die sich als Initiatorin von Kirche vor Ort ebenfalls immer für eine solche Einrichtung stark gemacht und eine Liste an potenziellen Helfern schon in der Hinterhand hatte. Dann galt es, Spender anzusprechen – Lebensmittelmärkte und Einzelhändler in Murrhardt und Umgebung. Dabei stellte Birgit Wolf fest, dass auch andere Einrichtungen regelmäßig bei Supermärkten anklopfen, um Spenden zu erhalten. Doch ein Anfang ist gemacht, und es konnten eine Handvoll Partner gefunden werden.

Die Helfer haben sich am Montag einige Stunden zuvor getroffen, um nach der Warenabholung das Brot abzupacken, das Gemüse und Obst herzurichten und den „Anderen Marktstand“ im ersten Stock der Volkshochschule aufzubauen. Die PC-Werkstatt hat für Berthold Müller, bei dem sich die Kunden Berechtigungskarten holen können, einen Computer eingerichtet, damit die Sache flutscht. Berechtigt sind Personen mit geringem Einkommen wie Hartz-IV-, Sozialhilfe-Empfänger oder Menschen mit einer geringen Rente. Wer vorbeischaut, muss das aber nicht sofort erledigen und wird nicht wieder weggeschickt, wenn er nicht gleich die entsprechenden Papiere dabei hat. „Dafür haben wir sogenannte Gästekarten.“

Irmgard Hein gehört zum Helferteam und hat sich eine Küchenschürze von zu Hause mitgebracht. „Ich finde es gut, dass jetzt auch in Murrhardt solch ein Projekt aufgebaut wird.“ Mit ihrem Engagement will sie sich für andere einsetzen und freut sich, dass Lebensmittel, die noch gut sind, nicht in der Mülltonne landen. Als Hausfrau weiß sie, dass die Preise besonders für Obst und Gemüse, Wurst und Käse gestiegen sind. Schwierig bei einem geringen Einkommen. „Und in die Lage kann jeder kommen“, sagt sie und spricht die Altersarmut an, die vielen Frauen bevorstehe. Bürgermeister Armin Mößner, der dem „Anderen Marktstand“ zum ersten Verkaufsnachmittag auch einen Besuch abstattet, nickt, und merkt an, dass dies bereits ein Thema sei.

Als dann die erste Kundin, eine junge Mutter mit ihrem Kind, eintrifft, ist der Betreuungsschlüssel äußerst gut, und sie wird mit Freude empfangen. Eine weitere Frau schaut sich beim Marktstand um. Zwar hat Birgit Wolf kräftig die Werbetrommel gerührt, auch Jugend- und Arbeitsamt auf das Angebot aufmerksam gemacht, vermutet aber, dass sich die Sache erst mal rumsprechen muss. „Ich könnte mir vorstellen, dass es für manche nicht so einfach ist, die Hemmschwelle zu überwinden“, sagt Ursula Elser. „Aber ich finde es ein gutes Projekt.“ Als sie vom Vorhaben in der Murrhardter Zeitung las, meldete sie sich spontan beim Helferteam. Als ehemalige Kinderpflegerin weiß sie um so manch schwierige Situation in Familien. Nun in Rente hat sie wieder mehr Zeit, sich zu engagieren, und nicht lange gezögert.

Dass der Bedarf da ist, daran zweifelt Birgit Wolf nicht. Erst kürzlich hat Thomas Stürmer beim Krankenpflegeverein die Zahl der Hartz-IV-Empfänger in Murrhardt vorgestellt, die bei 6,5 Prozent liegt. Eine Überlegung, die Spenden nicht verbilligt (10 bis 20 Prozent des ursprünglichen Preises), sondern ganz umsonst anzubieten, gab es für Wolf aber nie. „Wir wollen auch ein bisschen Einkaufsatmosphäre schaffen“, sagt sie. „Es ist wichtig, dass sich die Leute nicht als Bittsteller fühlen, sondern als Kunden.“ Langfristig möchte das Team außerdem, wenn sich das Angebot etabliert, einen wirklichen Laden aufbauen.

Die Waren werden an diesem Montag so gut wie alle vergeben. Denn auch im Helferteam gibt es Einzelne, die von Hartz IV leben. Nach Ladenschluss wechseln sie in die Rolle des Kunden. Zu guter Letzt wird der Mitarbeiterin eines Murrhardter Kinderheims Bescheid gegeben, die sich so mit einem verbilligten Einkauf außer der Reihe für die Kinder eindecken kann.

 

Der „Andere Marktstand“ hat immer montags von 13.45 bis 14.30 Uhr im Grabenschulhaus, Obere Schulgasse 7, in Murrhardt geöffnet. Er soll mit Flyern weiter bekannt gemacht werden. Das Team sucht weitere Märkte und Einzelhändler, die spenden können. Melden können sie sich unter Telefon 07192/9358-24 oder 07192/9358-16 oder per E-Mail unter buergerengagement@murrhardt.de.

Quelle: http://www.bkz-online.de/node/361056